J. Leisibach: Les antiphonaires de St-Nicolas à Fribourg

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Title
Les antiphonaires de St-Nicolas à Fribourg / Die Antiphonare von St. Nikolaus in Freiburg.


Author(s)
Leisibach, Joseph
Editor(s)
Kapitel St. Nikolaus Freiburg; Staatsarchiv Freiburg
Published
Freiburg 2014: Staatsarchiv Freiburg
Extent
104 S.
Price
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ernst Tremp, Mediaevistisches Institut, Universitaet Freiburg

Das heutige Domkapitel St. Nikolaus in Freiburg besitzt einen Schatz von acht grossformatigen, prächtig ausgestatteten Antiphonaren (Chorgesangbüchern) aus dem frühen 16. Jahrhundert. Die heute als Depositum im Staatsarchiv Freiburg sicher aufbewahrten Handschriften bleiben der Öffentlichkeit normalerweise verborgen. Im Zusammenhang mit dem 500-Jahr-Jubiläum der Errichtung des Kollegiatstifts im Jahr 1512 wurden die Kostbarkeiten auf Initiative des Dompropsts Claude Ducarroz während mehrerer Tage um das Patronatsfest St. Nikolaus (6. Dezember) 2012 und in den gleichen Tagen 2014 im Chor der Kathedrale ausgestellt. Die Präsentation war für das Freiburger Publikum eine Entdeckung und fand in den Medien Beachtung.

Als bleibender Ertrag dieses Anlasses erschien ein gelungenes Buch, das die Antiphonare in Bild und Text vorstellt. Der Text stammt aus der Feder des Freiburger Liturgiewissenschaftlers und Historikers Joseph Leisibach. Im ersten Teil führt er in das Stundengebet und in die Funktion der Chorbücher ein, untersucht ihre Entstehungsgeschichte, gibt eine materielle Beschreibung der acht Handschriften mit ihren zusammen 1600 Blättern (3200 Seiten), stellt den Buchschmuck mit den Initialen, Bordüren usw. vor und gibt einen Überblick über den Verlauf des liturgischen Jahres. Die Antiphonare enthalten die gesungenen Antiphonen (Rahmenverse für die Psalmenrezitation) des Stundengebets, geordnet nach dem Kirchenjahr, sowie die Responsorien, die Wechselgesänge nach den Lesungen des Nachtoffiziums, selbstverständlich alles in Latein, der liturgischen Sprache der Kirche bis in die jüngste Vergangenheit. Sie sind in gleicher Weise wichtige Überlieferungsträger der Liturgie- wie der Musikgeschichte.

Die Entstehung der Freiburger Antiphonare kann zwischen 1509 und 1511 datiert werden. Sie steht im Zusammenhang mit dem Bemühen, die Stadtkirche St. Nikolaus zum Kollegiatstift zu erheben. Dabei befand sich Freiburg in einem friedlichen Wettstreit mit der Nachbarstadt Bern. Hier war am Vinzenzenmünster 1484 ein Kollegiatstift errichtet worden. In den folgenden Jahren schuf man für den feierlichen Gottesdienst im Berner Münster neue, prachtvolle Antiphonare (deren Teile befinden sich heute in Estavayer-le-Lac und Vevey, da man für sie nach der Reformation keine Verwendung mehr hatte und sie veräusserte). Freiburg war als Textilstadt wohlhabend geworden und nach den Burgunderkriegen 1481 in die Eidgenossenschaft aufgenommen worden. Man eiferte der Schwesterstadt an der Aare nach. Dazu gehörte eine reich ausgestattete Stadtkirche mit zahlreichem Klerus und feierlichem Gottesdienst mit Gesang und Musik. Bereits in den 1460er Jahren war in St. Nikolaus als Rahmen dafür das präc-tige spätgotische Chorgestühl geschaffen worden.

Die Antiphonare dienten der Schola und dem Kantor. Die Sängergruppe war um ein Lesepult mit dem aufgeschlagenen, von Kerzen beleuchteten Buch aufgestellt, das daher ein grosses Format aufweisen musste und im Falle der Freiburger Chorbücher zu monumentaler Grösse aufschwoll. Da das Temporale (Jahreszyklus der Herrenfeste und Sonntage) und das Sanctorale (Zyklus der Heiligenfeste im Kirchenjahr) auf je einen Winterteil und einen Sommerteil aufgeteilt wurden und für beide Seiten des Chorgestühls ein Exemplar vorhanden sein musste, brauchte es acht Bücher. Schmutzspuren und Randbemerkungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert bezeugen, dass das Antiphonar lange Zeit in Gebrauch war.

Einen Eindruck von Aufwand für die Herstellung der acht Chorbücher vermittelt der Umstand, dass allein für das Pergament die Tierhäute von 800 ausgewachsenen, mehrjährigen Schafen benötigt wurden. Nach der Herstellung des Beschreibstoffes durch den Pergamenter waren zwei Kalligraphen, deren Hände Leisibach unterscheiden kann, mit der Schreibarbeit beschäftigt. Den Buchschmuck schufen ebenfalls zwei Künstler, ein Hauptbuchmaler und sein Gehilfe. Jener kann mit dem Freiburger Augustinereremiten Jakob Frank identifiziert werden; der aus Zofingen stammende Frank schuf zwei Jahrzehnte später auch ein Graduale für sein Kloster, wovon ein Teil erhalten geblieben ist. Die an verschiedenen Stellen in Initialen eingefügte Jahreszahl 1517 lässt darauf schliessen, dass die Arbeit der Künstler an den Antiphonarien von St. Nikolaus in diesem Jahr abgeschlossen wurde. Die massiven Einbände schliesslich wurden im Verlauf des 16. Jahrhunderts in der Werkstatt des Freiburger Franziskanerklosters gefertigt.

32 Bildinitialen enthalten die figürlichen Illustrationen zum entsprechenden Festtag. Dazu kommen zahlreiche einfacher gestaltete Zierinitialen, Lombarden (rote und blaue Anfangsbuchstaben) und Cadellen (schwarze Anfangsbuchstaben). Die grösste Attraktion der Antiphonare bilden jedoch die 56 Bordüren (Randdekorationen) mit ihren verschiedensten miniaturisierten Blumen- und Tierdarstellungen. Darunter fallen besonders 29 Darstellungen mit einem Hasen auf, der häufig ein Musikinstrument spielt: verschiedene Blasinstrumente, eine Laute oder eine Orgel. Über die Bedeutung dieser Drolerien kann gerätselt werden. Sollte der Hase als Antagonist zum Bären, dem Berner Wappentier, das im Antiphonar auch erscheint, Freiburg verkörpern, wie der Autor vermutet?

Der zweite Teil der Publikation unternimmt einen Gang durch das Kirchenjahr, Temporale und Sanctorale gemischt, wobei die gleichen Themen in den parallelen Chorbüchern einander gegenübergestellt werden. Der Begleittext führt in das jeweilige Fest ein und interpretiert die bildlichen Darstellungen in den Handschriften. Dieses Vorgehen entfaltet vor dem Betrachter den ganzen Reichtum der Miniaturen zu den Kirchenfesten und erlaubt interessante Vergleiche. Hier wie im ersten Teil gelingt es dem Verfasser, den Gegenstand präzis, fachlich kompetent und doch auch für Laien leicht verständlich darzu-stellen. Damit erschliesst sich dem Leser eine geistliche Welt, die gar nicht so fremd ist, wie sie auf den ersten Blick anmutet. Die Texte sind durchgehend zweisprachig, wie es sich für die auch in der damaligen Zeit zweisprachige Stadt an der Saane gehört. Die durchwegs farbigen Abbildungen sind von vorzüglicher Qualität. Das schöne Buch ist mit Sorgfalt gestaltet, seinem hohen Gegenstand durchaus angemessen. Schon wenige Wochen nach seinem Erscheinen war es bereits vergriffen.

Zitierweise:
Ernst Tremp: Rezension zu: Joseph Leisibach, Les antiphonaires de St-Nicolas à Fribourg / Die Antiphonare von St. Nikolaus in Freiburg, hg. vom Kapitel St. Nikolaus Freiburg und vom Staatsarchiv Freiburg 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 404-405.

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